7. Juni 2018

"Die Entwicklung sollte in Osteuropa, die Fertigung in China und das Geschäft in San Francisco erfolgen." - Part 1

Serial Entrepreneur, Startup Mentor, Venture Investor und IEG - Managing Director Vitaly Golomb sprach mit Inc Russia über interessante Märkte, in welche Industrien man im Silicon Valley investiert, was ein Unternehmen erfolgreich macht und letztlich über den perfekten Pitch!

DER SERIAL ENTREPRENEUR UND VENTURE-INVESTOR Vitaly Golomb zog mit seinen Eltern im Alter von 8 Jahren von Odessa in die USA. Bereits in seiner Jungend begann er 2010 in Technologieunternehmen zu arbeiten und tätigte seine ersten Venture Investments. Als Managing Director der IEG - Investment Banking Group mit Sitz in Kalifornien, kennt Golomb den Venture-Markt auf beiden Seiten des Atlantiks aus erster Hand. Er investiert in Startups aus Russland, der Ukraine und anderen GUS-Ländern und hilft ihnen, ins Silicon Valley zu ziehen und die Serie A (oft mehrere zehn Millionen Dollar) abzuschließen.

Vitaly Golomb erklärte im Interview mit Inc. Russia, welche Märkte (abgesehen von den offensichtlichen Branchen wie AI, Medtech und Blockchain) ein explosives Wachstum zu erwarten haben, was zu befürchten ist, wenn ein Corporate Venture Fund in das Unternehmen investieren will und warum das ideale Startup in drei Ländern lebt.

Die Märkte (die auf den Durchbruch warten)

Die zu erwartende Wachstumsrate des Marktes ist wichtiger als seine heutige Größe. Wenn es sich um einen neuen Markt handelt, der um 50% oder 100% pro Jahr wächst - muss das Startup lediglich wissen, wie man das Spiel gut mitspielt und er wird zumindest mit derselben Wachstumsrate dieses Marktes wachsen. Dies ist bei weitem besser, als ein großer schrumpfender Markt. Das habe ich bei meiner früheren Firma Keen System erlebt.

Wir haben eine Online-Plattform für die Druckindustrie aufgebaut; es scheint ein Markt von 700 Milliarden Dollar pro Jahr zu sein - aber der Markt hatte sich festgefahren und für jeden Kunden mussten wir gegen große Unternehmen kämpfen, die über starke Verbindungen und ein gut eingeführtes Produkt verfügten.

Man sollte keine Angst vor neuen Märkten haben, auch wenn es dort viele Wettbewerber gibt. Der Gründer, der glaubt, keine Konkurrenz zu haben, lebt in seiner eigenen, dummen Welt. Wenn der Markt so vielversprechend ist, werden das auch viele andere kluge Leute sehen. Und dann beginnt das Rennen. Der Gewinner ist derjenige, der zuerst auf den Markt dringt und die besten Entscheidungen trifft.

Die heißesten Industrien, in die im Silicon Valley investiert werden, sind AI, Gesundheitswesen, Transport und Logistik und Industry 4.0 (d.h. Robotik, 3D Druck, IoT) und natürlich Blockchain. Es gibt eine Menge Hype um das Thema Blockchain, aber man kann es mit der ersten Welle von Internet-Unternehmen vergleichen: 98% von ihnen werden wieder sterben, aber sie schaffen die Infrastruktur, auf der die zweite Welle gebaut wurde - und das dann schon recht erfolgreich.

Ein weiterer großer, schnell wachsender Markt ist der Lebensmittelmarkt. Die Menschen haben bereits gelernt, wie man Zellen kultiviert und künstliches Fleisch züchtet. Derzeit ist kultiviertes Fleisch zwölfmal teurer als natürlich gewachsenes. Dennoch: der Anbau von natürlichem Fleisch erfordert viel Land und Wasser und verursacht eine große Menge an Treibhausgasen. Innovationen in dieser Branche können die gesamte Branche drastisch verändern.

 

"Man sollte sich nicht vor neuen Märkten fürchten, auch wenn es dort viele Wettbewerber gibt."

- Vitaly Golomb, Photo Boris Zharkov

Dem Medienmarkt erwartet ein Wandel, sobald Apple ein Online-Abonnement für Publikationen auf den Markt bringt-  denn Apple weiß genau, wie man diese Dinge praktikabel handhaben kann. Zu der Zeit, als der erste iPod veröffentlicht wurde, zogen sich die User Musik noch illegal aus dem Netz. Auch damals gab es bereits Programme, die es ihnen erlaubten, sie online zu kaufen - aber Apple war in der Lage, den Kauf so bequem zu machen, dass Leute anfingen, Musik zu kaufen. Jetzt hat Apple die Möglichkeit, dasselbe mit bezahlten Medien zu tun - es kontrolliert eine große Anzahl von Nutzern, die deutlich mehr bezahlte Apps kaufen als Android-Nutzer. Leute gehen zu Starbucks und geben $5 pro Tag für Kaffee aus - warum nicht $5 pro Monat für Nachrichten? Wenn es einfach und bequem wäre, würden sie es tun.

Über Technologie und Produkte

Aus der Sicht des Unternehmens und der Investitionen ist die Technologie zweitrangig, die Hauptfaktoren für ein Startup sind: Team, Produkt und Vertrieb. Es gibt ein Sprichwort - "Sales solves all problems". Ein Startup ist kein Hobby, keine Forschung und kein akademischer Prozess. Es geht um Umsatz und Gewinn und wie man sie so schnell wie möglich erreicht. Deshalb muss man sich auf das Produkt und den Verkauf konzentrieren. Ein entwickeltes Produkt ist viel wertvoller als nur eine technische IP dahinter. Der Wert ist um einiges höher, wenn man aus einer interessante Technologie ein Produkt entwickelt, dass Menschen kaufen wollen, anstelle nur die Technologie zu lizenzieren. Menschen, die wissen, wie man das Produkt anpreist, verkauft und entwickelt, sind von unschätzbarem Wert.

Es ist nicht notwendig, die Technologie zu erfinden, sondern die Innovationen anderer intelligent einzusetzen. Das nennt man rekombinante Innovation. Zum Beispiel hat Apple nicht viel erfunden. Sie haben schon immer eher die Ansätze und Technologien anderer genutzt und diese so kombiniert, dass sie die Kunden begeistern. Man muss verstehen, was der Markt von einem Produkt erwartet, dass auf einer bestimmten Technologie basiert.

Überstürzen Sie die Patentierung nicht - es lohnt sich vielleicht nicht. Ein Startup hat in der Regel ohnehin nicht genug Geld, um das Patent vor einem großen Unternehmen zu schützen. Es ist besser, sich auf die Umsetzung und Verkauf des Produkts zu konzentrieren und das Patent dann zu erhalten, wenn das Business erfolgreich läuft. Ein Patent zu erhalten kostet viel Geld und Ressourcen - überhastet man den Erwerb, wird beides unnötig verschwendet. Ohne Kunden und Einkommen ist es sowieso eher unwahrscheinlich, dass sich jemand um Ihr geistiges Eigentum kümmert.

Um den Markt zu verstehen, ist es wichtig sich so früh wie möglich mit dem Kunden auszutauschen und mit dem Produkt zu experimentieren. Leute aus der Sowjetunion halten sich oft für die Klügsten: nach dem Motto: So wird es gemacht - und mein idiotischer Kunde sollte mein Produkt so benutzen. In meiner früheren Firma Keen Systems haben wir einen großen Fehler gemacht - wir haben ein zu kompliziertes Produkt für unser Publikum gebaut. Ich kannte die Druckindustrie von innen und habe eine E-Commerce-Plattform entwickelt, die dazu beitragen sollte, das Geschäft schneller und effizienter wachsen zu lassen, aber sie berücksichtigte nicht unsere Zielgruppe - Menschen, die fast 60 Jahre alt sind und die nach der premisse arbeiteten, dass man sein Geschäft nur ausbauen kann, indem man mehr Kunden anlockt. Erfolgreicher wäre es gewesen, wenn wir den bestehenden Kunden einfach gegeben hätten, was sie wollten. Ein erfolgreiches Produkt kann nur gemeinsam mit seinen Kunden entwickelt werden.

Jedes erfolgreiche Unternehmen muss sein produkt ständig hinterfragen; besonders wenn es dem Konsumenten dienen soll. Man beginnt mit einem minimal brauchbaren Produkt, experimentiert, bekommt Feedback, verbessert, veröffentlicht die nächste Version, etc. Wiederholung ist auch in B2B Bereich wichtig, aber hier gibt es einen längeren Entwicklungszyklus. Im B2C Sektor muss man schneller agieren - sonst verlieren die Nutzer einfach das Interesse am Produkt. Wernn man die Facebook-Versionen von heute mit denen vor einem Jahr oder vor 10 Jahren vergleicht, wird es deutlich. Hätten sie damals aufgehört, wären sie längst von einem anderen Anbieter überholt worden. Aber Facebook ist immer noch die Nummer eins - weil sie das Produkt ständig verbessern und dem Markt folgen.

"Wiederholungen sind wichtig" Wenn man das Produkt nicht kontinuierlich überholt, verlieren die Nutzer das Interesse und ein anderer Anbieter profitiert davon"

- Vitaly Golomb, Photo Boris Zharkov

Viralität ist kein Geschäftsplan. Wenn etwas zufällig viral wird, dann setzen wir als Investoren bereits auf Wachstum. Aber die Viralität ist der Technologie und dem Produkt untergeordnet, und es gibt viele erfahrene Vermarkter im Silicon Valley, die das Wachstum vorantreiben können, wenn das Produkt gut ist.

Wenn Sie Ihr Unternehmen pitchen, müssen Sie über einen interessanten Markt, Ihre einzigartige Technologie, die Erfahrung Ihres Teams usw. in Form einer Geschichte sprechen - mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende.  Es ist sehr wichtig, den Hörer auf einer emotionalen Ebene zu erreichen. Als ich bei 500 Startups als Mentor tätig war, gab es eine bestimmte Firma aus Brasilien. Ihr Geschäft war nicht so aufregend - Fashion E-Commerce, aber ich werde mich für immer an den Pitch erinnern. Der Gründer begann mit den Worten: "Zuerst traf ich eine Frau...." und erzählte eine Geschichte über seine Frau, die Modeblogger war und ihn auf die Idee brachte, das Unternehmen zu gründen. Dann sagte er mit einer theatralischen, tiefen Stimme und mit einem portugiesischen Akzent: "Dann traf ich eine andere Frau...." Es stellte sich heraus, dass sie eine Partnerin von 500 Startups war, die ihn zur Teilnahme am Accelerator Program von San Francisco einlud. Es war sehr lustig, alle haben gelacht. Ich weiß nicht, was seitdem mit der Firma passiert ist, aber der Pitch hat beim Demo-Tag einen großen Eindruck hinterlassen.

 

Vitaly Golomb, Managing Director von IEG USA, sprach im Mai 2018 mit der Inc Russia. Das Interview mit Vitaly Golomb wurde ursprünglich hier veröffentlicht. Dieser Artikel ist der erste Teil der Übersetzung des genannten Beitrags. Der zweite Teil folgt in Kürze an selber Stelle.