Europe
15. August 2019

Die Fintech-Landschaft in Russland

Während des Panels "Shake Your Money Maker. Heading to Fintech", das im Zuge der StartupVillage-Konferenz 2019 in Moskau im Mai 2019 abgehalten wurde, diskutierten die Podiumsteilnehmer über die Fintech-Branche in Russland und konzentrierten sich auf die Erfolgsfaktoren und die Herausforderungen der Branche.

DIE BANKENBRANCHE BOOMT IN RUSSLAND im Mai 2019. Wenn man allerdings ein wenig zurückblickt gab es, laut Moderator Stuart Larson (Senior Advisor bei EY und langjähriger Geschäftsmann in Russland), Mitte der 90er Jahre keine Banker in Russland, nur ein Bankensystem im sowjetischen Stil. Um Bewegung in den Sektor zu bringen, musste man auf unerfahrene, aber motivierte und zukunftsorientierte Nachwuchskräfte zurückgreifen, die bereit und versiert genug waren, sich auf innovative Modelle und neue Technologien einzustellen. Seitdem hat die Technologie den Bankensektor grundlegend verändert und die Dynamik, die für die Entwicklung von Banking Models verantwortlich ist, hat sich grundlegend verschoben. Dies betrifft vor allem die Interaktion mit Kunden, Mitarbeitern, Aufsichtsbehörden oder allgemeinen Gegenparteien. Folglich gibt es mehrere Fragen, die man sich bei der Analyse des russischen Fintech-Ökosystems betrachten sollte

Russland steuert auf die Digitalisierung der Wirtschaft zu - einschließlich des Finanzmarktes.

  1. Sind russische Banken in der Lage der sehr unterschiedlichen Kultur von hochflexiblen, nicht-hierarchischen und jungen Fintechs gerecht zu werden?
  2. Aus der Sicht der Plattformen - Ist es besser, neue Features an bestehende Strukturen anzugliedern oder sie vollständig zu integrieren?
  3. Und wenn ja: Welche Gefahr laufen Sie, dass sie ihre Innovation und ihre Anpassungsfähigkeit verlieren?
  4. Wie definieren diese Banken das Kundenerlebnis neu?
  5. Wie wird auf Daten zugegriffen, die bei diesen Innovationen eine wesentliche Rolle spielen?
  6. Wie wird mit den Themen Datenschutz, Datenerhebung und Datenhoheit umgegangen und welche Vorschriften gelten für Quelle und Umfang der Daten?
  7. Und schließlich, wie können kleinere, unabhängige Banken wettbewerbsfähig bleiben?

Stuart Larson stellte Sergey Solinin, CEO bei Qiwi und Gründer der Fintech Association, zu allererst die grundlegendste Frage über die Relevanz traditioneller Bankenmodelle im Zeitalter der Fintechs?

Fintech vs Banks ?!?

WENN MAN SERGEY SOLONIN FRAGT, geht es nicht um das Thema 'Fintech vs. Banken'. Ihm zufolge ist diese eher veraltete Diskussion in Russland nicht relevant. Im Mittelpunkt steht der geleistete Service. Somit werden weder Fintechs noch Banken als Sieger vom Platz gehen. Bei diesem vermeintlichen Zweikampf, freut sich der bekanntliche Dritte - der Kunde. Nichtsdestotrotz, gibt Sergey Solonin zu, dass es sich innerhalb der Russischen Föderation als schwierig erweisen kann, vollständig innovativ zu denken. Die dortige Wirtschaft funktioniert nach wie vor als ein eher zentralisiertes System. Ein Großteil der russischen Bevölkerung is Kunde bei einer der großen, staatlich-geförderten Banken. Als Fintech ist es daher fast unmöglich neue Technologien ohne diese Institutionen zu entwickeln, ohne Gefahr zu laufen, einen großen Teil (ca. 70%) der potentiellen Kunden von Vornherein zu vergraulen bzw. auzuschließen.

Dennoch ist Sergey Solonin von dem gewaltigen Potenzial für Fintechs in Russland überzeugt. In seinen Augen ist die richtige Lösung, eine offene Plattform zu schaffen. Dabei verweist er vor allem auf Blockchain (eine Technologie, die rechtliche Rahmenbedingungen erfordert, um in Russland als Option angesehen zu werden), offene APIs und Deregulierungen für Zahlungen konzentriert. Das Schaffen einer offenen Plattform wird letztendlich zu mehr Transparenz, mehr Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum für Fintechs in Russland führen.

Es liegt nicht in der Verantwortung einer Regierung, innovativ zu sein. Ihre Aufgabe ist es, einen Rahmen zu schaffen und Anreize zu bieten und damit den Innovationsfluss zu ermöglichen.

Stefan Heilmann, Startup Village

Der Staat als Innovationstreiber?

BEI DER FRAGE OB STAATLICHE BANKEN als Innovationstreiber fungieren können, erklärt Sergey Solonin, dass es nicht klug ist, Innovation zu erzwingen. Jemandem einen Befehl zu geben, innovativ zu denken, wenn dies nicht Teil der Denkweise ist, wird zu Misserfolgen führen. Daher ist es viel wichtiger, dass die staatlichen Banken ein Ökosystem schaffen, das es anderen Unternehmen ermöglicht, kreativ und innovativ zu denken. Stefan Heilmann greift den Gedanken auf und ergänzt, dass es im Allgemeinen nicht die Aufgabe einer Regierung sei, innovativ zu sein. Vielmehr besteht die Verantwortung darin, einen Rahmen zu schaffen, der Innovation ermöglicht, und Anreize für Unternehmen oder Institutionen zu bieten, die sich auf die Verbesserung bestehender Strukturen durch innovative Methoden und Technologien konzentrieren. Dabei sei zu beachten, sagt Stefan Heilmann, dass man für Fintech-Startups keinen gesonderten Schutz bieten müsse. Sie agieren in einem kooperativen Umfeld. Um wettbewerbsfähig zu bleiben müssen daher Banken wie Fintechs denken und Fintech-Startups müssen wie "richtige" Unternehmen agieren.

Laut Sergey Malyshev, Head of Retail and Digital Business bei der Promsvyazbank, ist weniger die Kooperation zwischen Fintechs und Banken der Grund, dass es keinen wirklichen Kampf zwischen diesen Beiden gibt, sondern vielmehr der Zustand, dass sich Fintechs und Banken nicht voneinander trennen lassen in Russland. Die russischen Banken werden selbst zu Fintech-Unternehmen. Erklären lässt sich das so, dass der Staat große Investitionen in diesem Bereich zur Verfügung stellt und da die größten Banken mit dem größten Kundenstamm und den meisten Resourcen zumindest teilweise in Staatsbesitz sind, fließen die Gelder denen zu und treiben die Innovationskraft der Banken voran.

Datenerhebung, Datenschutz & Datenhoheit

EIN WEITERER WICHTIGER ASPEKT, den es bei der Thematik Fintech in Russland zu bedenken gilt, ist die Datenerhebung und der Datenschutz. Natalya Kaspersky (ehemals CEO von Kaspersky Lab) konzentriert sich bei ihrer Analyse vor allem auf die potenziellen Gefahren von Cyberangriffen. Innerhalb der Russischen Föderation gibt es keine Vorschriften in Bezug auf Datenerhebung, Datenspeicherung, Datennutzung und Datenschutz. Dies bedeutet, dass jede Plattform in Russland die erhobenen Daten ohne jegliche Regelung verarbeiten und nutzen darf. Dabei werden - je nach Einrichtung - bei der Erhebung von Verbrauchendaten stets andere Ziele und Absichten. Da diese nicht reguliert werden, herrscht hier reine Willkür. Dazu gehört auch der Verkauf von Daten an externe Dritte. Natalya Kaspersky betont, wie wichtig es sei, Regulierungsschranken einzurichten, begrenzt aber den Umfang der Vorschriften, indem sie darauf hinweist, dass ein ausgewogener Ansatz erforderlich ist. Regulierungen in Russland müssten weniger streng sein als in Europa. Andernfalls könnten Startups, die im Bereich Big Data agieren, in Russland nicht existieren.

 

Die Datenerhebung und -nutzung ist in Russland nicht geregelt. Das muss geändert werden. Die Vorschriften müssen jedoch ausgewogen sein. So strenge Regeln wie die DSGVO funktionieren in Russland nicht.

Natalya Kaspersky, Startup Village 2019

Dabei handelt es sich allesamt um den Schutz der Verbraucherdaten. Was den Schutz von Technologiedaten betrifft, hat Natalya Kaspersky klare Vorstellungen. Hier sei ein strikter Ansatz notwendig. Es sollte prinzipiell möglich sein innerhalb der Russischen Föderation, Daten Dritter zu verwenden und durch den Abschluss von Kooperationsverträgen an andere  Unternehmen weiterzugeben. Die Datenverwendung durch große Technologieunternehmen wie Facebook, die außerhalb Russlands ansässig sind, sollen jedoch eingeschränkt werden. Ihre Aussagen führten zu der allgemeinen Frage nach Barrieren in Bezug auf Innovationen. Natalya Kaspersky befürwortet diese Aussage, Barrieren im Bezug auf Innovationen aufrechtzuerhalten, da sie das System für recht anfällig hält, wenn es um die finanziellen Ressourcen geht. Unternehmen oder auch Staaten, die über hohes Kapital verfügen, werden immer die Möglichkeit haben technologische Innovationen an sich zu binden. Nur durch den Aufbau von Barrieren kann Russland es schaffen, diesen Fortschritt und das Wissen im eigenen Land zu halten.

Profitiert Innovation von Barrieren?

EINE AUSSAGE DIE STEFAN HEILMANN KLAR verneint. Die DNA eines jeden digitalen Unternehmens oder digitalen Dienstes, zu denen Fintechs gehört, ist so konzipiert, dass diese global anwendbar sind. Wenn ein Unternehmen Barrieren benötigt, damit das Produkt oder die Dienstleistung erfolgreich funktioniert, ist es nicht wettbewerbsfähig. Letztlich führt dieser Zustand nur dazu, dass Ressourcen des Unternehmens nicht zielgerichtet eingesetzt werden.

Brian Dixon (COO bei Capital Innovators) unterstützt die Ansicht von Stefan Heilmann. Auch er ist der Überzeugung, dass es innovativen (und insbesonderen Early-Stage) Unternehmen möglich sein muss, sich ohne jegliche Art der Einschränkung weiterentwicklen zu können. Denn nur Innovationen, die sich frei entfalten, zeigen großen Wachstum in kürzester Zeit. Er verweist dabei auch in diesem Zusammenhang auf die Blockchain-Technologie oder auf die Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Bei Fintech-Unternehmen, räumt Brian Dixon ein, verhält es sich allerdings etwas anders, da deren Geschäftsmodelle bestimmten regulatorischen Voraussetzungen und Leitfäden entsprechen müssen.

Besonders wenn es um Blockchain geht, ist Brian Dixon überzeugt, dass diese Technologie der stärkste Treiber für die Zukunft von Fintechs sein wird. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Fokus auf B2C oder B2B liegt, immer mehr Unternehmen werden ihr Geschäftsmodell auf Grundlage der Blockchain Technologie aufbauen. Des weiteren prognostiziert Brian Dixon auch ein enormes Wachstum bei den Krypto-Währungen. Anders als seine Vorredner sieht er allerdings einen klaren Gewinner: globale Tech Unternehmen können den Kampf Fintech vs. Banken für sich entscheiden. Als perfektes Beispiel verweist er auf Facebook, das momentan seine eigene Crypto Currency schafft: Global Coin. In dem Moment, in dem sich diese etabliert und Facebook traditionelle Finanzdienstleistungen wie Hypotheken oder Kredite anbietet, wird es sofort zur größten Bank der Welt werden. Mit ihren 1,5 Milliarden täglichen Nutzern weltweit hätte Facebook einen Kundenstamm, der mit keinem anderen zu vergleichen ist.

Big Tech Unternehmen wie Facebook könnten der wahre Gewinner sein. Wenn sie eines Tages Finanzdienstleistungen anbieten, werden sie sofort zum größten Akteur im Finanzsektor, den es gibt.

Brian Dixon, Startup Village 2019

Stefan Heilmann mit seiner langjährigen Erfahrung als Investmentbanker stellt fest, dass Russland im Laufe der Jahre interessanter geworden ist. Betrachtet man Russland rund um die Jahrtausendwende, so war das Umfeld insbesondere in Bezug auf Markt- und Währungsrisiken nicht sonderlich vielversprechend. Heute hat sich der Markt stabilisiert und Russland hat aufgrund seiner Größe und Leistungsfähigkeit sowie seiner verbesserten Rahmenbedingungen das Interesse als potenzieller Markt für Investitionen geweckt.

Berühmte Letzte Worte

ZUM ABSCHLUSS FRAGTE STUART LARSON nach Ratschlägen, die sich an zukünftige Fintech-Gründer richten:

Brian Dixon betont die Bedeutung, dass bei Markteintritt das Produkt einwandfrei funktionieren muss. Im Fintech-Bereich wird mit hochsensiblen Kundendaten umgegangen. Das Produkt muss daher perfekt sein. Wenn es beim ersten Versuch Probleme verursacht, gibt es meistens keine zweiten Chancen. Das Vertrauen des Kunden in das Produkt ist gebrochen.

So einfach es auch erscheinen mag: "Hör auf deinen Kunden!" - sagt Sergey Maryshev.

Natalya Kaspersky betont noch einmal die Bedeutung des Datenschutzes. Startups müssen im Voraus wissen, wie sie ihre Daten schützen können. Danach ist es entweder zu spät oder zu teuer, den Verlust zu korrigieren.

Sergey Solonin rät den Gründern, dass es wichtiger ist, über den angebotenen Service nachzudenken als über die Technologie, da es neue Generationen geben wird, die mit jeder Art der Technologie umgehen können. Daher ist es wichtiger zu wissen, welche Dienste die Kundengruppen benötigen.

Zu guter letzt, rät Stefan Heilmann, dass innovative Fintech-Gründer bedenken sollten, ihre Anwendung für Messenger Services anzubieten. Dies würde sie automatisch zu Vorreiter in der Branche machen.

 

"Shake Your Money Maker. Heading to Fintech" - Die Panel-Teilnehmer

Brian Dixon - COO bei Capital Innovators

Stefan Heilmann - CEO bei IEG - Investment Banking Group

Natalya Kaspersky - President bei Infowatch

Sergey Malyshev - Head of Retail and Digital Business bei Promsvyazbank

Sergey Solonin - CEO und Mitgründer bei Qiwi und FinTech Association

 

Das vollständige Panel können Sie hier sehen.